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Mit dem Bus, einer billigen Sauna auf Rädern, fahre ich nach „Novo Beograd“, abseits des touristischen Zentrums. Angekommen und ausgespuckt wird mir klar, dass hier kaum etwas „neu“ ist. Im Gegenteil: Sowjetische Plattenbausiedlungen – hässlich, funktional und doch irgendwie faszinierend. Sie wirken wie leblose Monolithen, archaisch aus dem Boden spriessend. Graue Oberflächen mit Fassaden, die aussehen, wie Reifenspuren von dem was einst ins All davonbrauste. Und doch ergiesst sich Leben auf die Flächen dazwischen, weichen die starren Formen allerlei Farben und Bewegung trotzt dem Stillstand. Was mir auch auffällt: Historische Bauwerke und Neubauten bestehen aus Ziegelsteinen.
Jemand erzählt mir von der Landesgeschichte, schiesst dabei gegen die Ottomanen, die Serbien geisselten und Bulgaren, die es verrieten. Das Wissen sei notwendig, um die aggressive Haltung des Landes zu verstehen. Trotzdem sei es aber falsch, dass im Westen das Bild von Serbien als Aggressor bestehe. Man sei hier halt lediglich bereit, mit allem den eigenen Boden zu verteidigen. Ich frage mich bloss, wo dieser Boden aufhört.
Was mich ein Stück weit beruhigt: Hier gibt es zahlreiche Buchläden, ein Filmmuseum und sogar eine Feminismus-Ausstellung. Kultur wird hier also breit ausgelegt. Was mich wiederum beunruhigt: In einem Park sehe ich aus der Distanz ein Grüppchen, das mich ich sehr an Neonazis erinnert und kurz darauf lese ich im Internet von einem Graffiti, das den Kriegsverbrecher Ratio Mladic huldigt – offenbar behördlich und somit auch vom Präsidenten Vukic geduldet. Am Morgen habe ich einen Republik-Artikel gelesen, der beinahe dystopisch den Konflikt zwischen Demokratie und Autokratie prophezeit. Ukraine hin oder her, ich bin an einem weiteren solchen Brandherd.
Etwas zur Physiognomie: Ich habe den Eindruck, dass viele Männer schlaksige lange Gesichter haben, und fühle mich dabei an Joe Saccos Comics zu den Kriegen im Balkan erinnert. Dazu passt auch die nächste Entdeckung: Mitten im Stadtbild trifft man auf kaputte Fassaden – als Sehenswürdigkeiten deklariert. Es sind Überbleibsel der NATO-Bombardierungen. Das Militärbündnis griff im Laufe des Yugoslawienkriegs 1999 mehrere Ziele in der Stadt an. Diese Stadt und ihre Leute haben „westliche Aggression“ erfahren.
Die Ruinen sind Mahnmale, oder je nachdem auch Wunden, die nicht verheilen. Ich wusste das nicht. Aber sofort erübrigt sich bei mir ein Stück weit die Erklärung, wieso Serbien sich neben Russland stellt. Gerechtfertigt oder vernünftig empfinde ich es deswegen aber keineswegs.
Alte Kanonen, Panzer und weiteres Kriegsgerät – schön aufgereiht. Papis und Söhnchen spazieren beiderlei begeistert dazwischen. An prominentester Stelle kriegt Krieg seinen Altar der Faszination. Andererseits frage ich mich, ob wir in der Schweiz uns das halt einfach nicht gewohnt sind. Bei uns steckt der Kriegseinfluss halt z.B. versteckt in Kunsthäusern. Eine Damenbinde, an eine Kanonenmündung (das Phallussymbol schlechthin..) geklebt, lassen mich zumindest hoffen, dass auch hier das Kriegstreiben längst nicht alle toll finden.
Mit einem Serben unterhalte ich mich übers Militär. Er meint, Langeweile sei das schlimmste am Dienst. Er habe darum als Scharfschütze Hasen abgeknallt, was sogar noch seine Ernährung aufgepeppt habe. Seine Miene lässt beim Erzählen offen, ob er nicht lieber Menschen getroffen hätte. Nun ist er jedenfalls Gamedesigner – und mir äusserst unheimlich im Gedächtnis geblieben.
Ich treffe beim Biertrinken mehrmals Exilrussen an. Sie kommen hier zwar schnell an Arbeit, jedoch nicht an ihr Geld. Ihre Haltung ist für mich schwer durchschaubar. Es herrscht offenbar ein Groll gegen Putin und die Eliten, jedoch relativieren sie vieles, was meine persönlichen Erfahrungen mit Rechtsextremismus in Moskau betrifft. Ein Serbe zeigt mir daraufhin das Foto einer Ukraine-Naziflagge. Wir einigen uns darauf, dass rechte Politik überall am Aufkeimen ist. Bloss war ich mir nicht sicher, wer im Raum ausser mir das als negativ empfand.
Plötzlich stehe ich vor dem Mladic-Mural. Mitten in der gehobenen Hipster-Gegend ziert das Gemälde eines verurteilten Kriegsverbrechers eine Hauswand. Unter kritischer Vergangenheitsbewältigung verstehe ich etwas anderes.
Beim Weiterschlendern treffe ich auf das Bild eines noch grösseren Verbrechers: Putin. Hier verschmelzen sogar die Flaggen ineinander. Jedoch sind die Augen unheimlich in Rot verschmiert. Auch hier wird also Gegenwehr geboten. Mich beunruhigt aber, dass die Gegenwehr auf politischer Ebene kaum fruchtet.
Ich gehe zur russischen Botschaft. Unauffällig ist sie, bloss auffällig gross. Auf dem Weg dahin begegnen mir an Wände gesprayte Z’s, die dann wieder übersprüht wurden – zum Logo jener Organisation, die sich ironischerweise Extinction Rebellion nennt.
Alexander, der Besitzer eines Craftbeer-Pubs überhäuft mich mit Gastfreundschaft, sprich Essen und Bier. Sein Betrieb läuft offenbar, das Bier kommt bei der grossen Masse an. Ich spüre aber auch unterschwellig, wie sich unter den serbischen Brauereien gegenseitig nicht viel gegönnt wird. Alexander orientiert sich als Unternehmer bei Vorbildern im Westen. Kulturelle Stereotypen nimmt er mit Humor: „Ahh, Switzerland. Famous for Chocolate and Watches!! We have war criminals.“
Hier fahren viele alte Schweizer Trams herum. Das wird als Städtepartnerschaft und gute Sache deklariert, ich sehe darin aber eher das Entsorgen von Altlasten. Auch unsere Autos landen hier. Ich dachte das wäre ein Vorurteil.
Mir fällt auf, wie viele Geschäfte mit Schönheitsbezug es hier hat. Der Kontrast zwischen der Werbung und der Realität erscheint mir gross. Mir fällt ein, dass die Performance-Künstlerin Marina Abramovic von hier stammt. Serbien scheint offenbar ein Nährboden für Aussergewöhnliches, respektive einen schockierenden Umgang mit dem Körper zu sein. Er dient hier als unmittelbarste Kommunikation – auch für jene, die nichts zu sagen haben.
Ich treffe einen 26-jährigen Russen zum Craftbeer-Trinken. Er: Gestrandet in Belgrad. Zur Zeit als ich kurz in Moskau verweilte, diente er in der Militärpolizei und war als gepanzerter Beamte, als „Robocop“ an den regierungskritischen Protesten, die vehement aufgelöst wurden. Er meint aber, das Bild der russischen Polizei sei gar negativ geprägt. Die Medien pickten sich lediglich das reisserische heraus und die Kontextualisierung fehle häufig. Er kritisiert hingegen die Entlohnung und Verpflegung in der Armee.
Er spielte bereits früher mit dem Gedanken, zu emigrieren, allerdings nach Polen. Wegen der Invasion, von der er überhaupt erst durch Freunde in den USA erfuhr, floh er abrupt – aus Angst eingezogen zu werden. Die russische Propaganda funktioniere bemerkenswert gut und ein grosser Teil davon fusse auf Homophobie. Er neigt dazu, die Schuld der Misere mehrheitlich bei Putin zu suchen. Er sieht zwar die Komplexität der Situation, meint aber, dass sich dadurch die Lösung nur noch erschwere.
„Now it’s alright“ sagt er. Sein Blick sagt mir jedoch etwas anderes. Er unterdrückt Tränen.
Der Gang am Fluss vermittelt mir eine trostlose Szenerie. Verlassene Partyboote mit schmucker Fassade – dahinter Rost und Zerfall. Auch Strassen zerbröckeln, Häuser zerfallen und Brücken verrosten. Hier fliesst nicht viel (staatliches) Geld in die Infrastruktur.
Umso grösser ist der Kontrast zur anderen Flussseite, wo die neue Skyline in die Höhe schiesst. Ameisenhügel nennt sie jemand, für mich eher Manifeste des Grössenwahns. Dieses Geld wäre woanders besser investiert. Hier handelt es sich nicht mal mehr um Symptombekämpfung, sondern bloss um Ablenkung. Zum Beispiel von der verwahrlosten Hüttensiedlung auf meiner Flussseite. Solch drastische Kontraste gehören wohl zu Großstädten. Nur nicht in der Schweiz. Das „Privilegienglöcklein“ bimmelt in meinem Kopf.
Mir begegnen betrunkene Jugendliche. Ich flaniere durch die Nacht, pinkle ans Fort und ich geniesse beim Bier die Aussicht auf die entstehende Skyline. Sie leuchtet bunt. Der ganze „störende“ Rest versinkt derweil in der Dunkelheit und geht vorübergehend vergessen. Doch wie sieht das Serbien von Morgen aus?